BGH, Urteil vom 22.09.2020 – XI ZR 219/19
Eine Bank nahm einen Geschäftsführer auf Zahlung aus einer selbstschuldnerischen Höchstbetragsbürgschaft in Anspruch. Der Betriebsleiter war bei der K-GmbH als geschäftsführender Alleingesellschafter tätig. Am 22.12.2015 hatte das Kreditinstitut dem Unternehmen einen Kontokorrentkredit über 300.000 Euro eingeräumt. Noch am selben Tag übernahm der Geschäftsleiter eine Bürgschaft zugunsten des Bankhauses bis zu einem Höchstbetrag von 170.000 Euro. In Anwesenheit eines Bankmitarbeiters unterzeichnete er den Vertrag in seinen Geschäftsräumen. Kurze Zeit später wurde ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH eröffnet. Am 26.04.2016 kündigte die Bank den Kredit fristlos und stellte einen Saldo in Höhe von rund 296.000 Euro zur Rückzahlung fällig. Anfang Juni 2016 forderte sie den Geschäftsführer zur Zahlung auf. Im September 2016 bestätigten seine Anwälte dessen grundsätzliche Haftung aus der Bürgschaft, erklärten aber zugleich den Widerruf seiner Geschäftsführer-Bürgschaft. Das Landgericht Hamburg gab der Klage auf Zahlung von 170.000 Euro statt, der Berufung dagegen gab das OLG Hamburg statt.
BGH: Keine vertragscharakteristische Leistung
Die Revision der Bank war vor dem BGH erfolgreich. Er verwies die Sache an das OLG Hamburg zurück. Aus Sicht des XI. Zivilsenats hat das OLG rechtsfehlerhaft angenommen, dass der Betriebsleiter seine zum Abschluss des Bürgschaftsvertrags führende Willenserklärung wirksam widerrufen hat. Ein Widerrufsrecht setze einen Verbrauchervertrag nach § 310 Abs. 3 BGB voraus, der eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand habe. Erforderlich sei, dass der Unternehmer aufgrund eines Verbrauchervertrags die dafür charakteristische Leistung zu erbringen habe. Aus Sicht des BGH erfüllen Bürgschaften diese Voraussetzungen nicht. Entgegen der früheren Rechtsprechung zu § 1 HWiG bzw. § 312 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB a.F. genüge es für die Anwendbarkeit der §§ 312b, 312g BGB nicht, dass der Bürge sein Leistungsversprechen in der dem Gegner erkennbaren Erwartung abgibt, ihm selbst oder einem bestimmten Dritten werde daraus irgendein Vorteil erwachsen. Dass die Leistung des Unternehmens aufgrund eines separaten, nicht dem § 310 Abs. 3 BGB unterfallenden Vertrags an einen Dritten erbracht wird, reiche danach nicht.
Eine Bürgschaft ist keine Finanzdienstleistung
Den Bundesrichtern zufolge führt auch die grundsätzliche Anwendbarkeit der §§ 312 ff. BGB auf Verträge über Finanzdienstleistungen nicht zu einem Widerrufsrecht. Bürgschaften oder sonstige Kreditsicherheiten von Verbrauchern würden von dem in § 312 Abs. 5 Satz 1 BGB legal definierten Begriff der Finanzdienstleistung nicht erfasst. Das Widerrufsrecht könne mangels einer planwidrigen Unvollständigkeit der gesetzlichen Regelung auch nicht aus Schutzzweckerwägungen im Wege einer Analogie auf außerhalb von Geschäftsräumen gestellte Verbraucherbürgschaften ausgeweitet werden.
Revision war statthaft
Aus Sicht der Bundesrichter war die vom Berufungsgericht zugelassene Revision uneingeschränkt nach § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Soweit das OLG die Zulassung der Revision in den Urteilsgründen ausschließlich damit gerechtfertigt habe, dass der bisherigen Rechtsprechung des BGH zum Widerrufsrecht des in einer Haustürsituation handelnden Bürgen die europäische Verbraucherrechterichtlinie entgegenstehen könne und eine Vorlage an den EuGH in Betracht komme, liege darin keine wirksame Beschränkung der Revisionszulassung. Dem BGH zufolge sind die Ausführungen zu dem Geltungsbereich der Richtlinie nicht isoliert anfechtbar. Sie sind lediglich ein Teilaspekt der Prüfung, ob der Geschäftsführer ein Widerrufsrecht nach § 355 BGB in Verbindung mit §§ 312b Abs. 1, 312g Abs. 1 BGB wirksam ausgeübt hat.