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Wird im Ermittlungsverfahren vorschnell Anklage erhoben, vor allem ohne dem Beschuldigten rechtliches Gehör zu gewähren, ist dies für die Verteidigung ärgerlich, denn erfolgversprechende Verteidigungsmöglichkeiten werden dadurch unterbunden. Offenbar scheint diese Unsitte mehr und mehr um sich zu greifen – unter bewusster Missachtung des § 163a Abs. 1 Satz 1 StPO.
Im Zwischenverfahren bleibt dann der Versuch, das Gericht davon zu überzeugen, das Hauptverfahren nicht zu eröffnen, sondern die Anklageschrift an die Staatsanwaltschaft zurückzugeben, mit dem Hinweis, dem Beschuldigten nachträglich rechtliches Gehör zu gewähren. Häufig wird jedoch die Auffassung vertreten, dass der Mangel rechtlichen Gehörs im Ermittlungsverfahren durch die Aufforderung zur Erklärung nach § 201 StPO geheilt werden kann.
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Anklage ohne Gewährung rechtlichen Gehörs im Ermittlungsverfahren Foto: Atstock Productions/Shutterstock
Wurde der Beschuldigte nie zur Sache vernommen, konnte er auch keine Gelegenheit haben, sich zu seiner Aussagebereitschaft zu erklären und die Aufnahme der von § 163a Abs. 2 StPO gemeinten Entlastungsbeweise zu beantragen. Deren Behandlung darf bekanntlich nicht an den Ablehnungsgründen des § 244 Abs. 3-5 StPO gemessen werden. Solche Beweise zu erheben, ist die Staatsanwaltschaft verpflichtet, soweit diese von Bedeutung sind.
Rechtliches Gehör im Ermittlungsverfahren verpflichtend?
Auch wenn die Verteidigung zunächst mitgeteilt hatte, dass der Beschuldigte zum jetzigen Zeitpunkt keine Angaben machen wolle, so bezieht sich dies ersichtlich auf die Zeit vor Gewährung der Akteneinsicht; jedenfalls berechtigt dies die Staatsanwaltschaft wohl nicht dazu, einen Vernehmungsversuch für sinnlos zu halten. Denn dies meint freilich nicht, der Beschuldigte wolle sein Recht auf Gehör insgesamt nicht ausüben. Bekanntlich erschöpft sich das Prozessgrundrecht auf rechtliches Gehör auch nicht in der bloßen Gelegenheit zur Äußerung. Die Mitteilung, dass zum jetzigen Zeitpunkt keine Angaben gemacht werden sollen, entbindet den Staatsanwalt somit nicht von der Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs.
Konsequenzen für das Zwischenverfahren
Eine Anklageerhebung hat oftmals eine empfindliche Schlechterstellung des Beschuldigten zur Folge. Er ist nicht nur einer öffentlichen Hauptverhandlung ausgesetzt, sondern im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft ist das Gericht zu keiner Beweiserhebung verpflichtet. Darüber hinaus vereitelt eine solche Behandlung dem Beschuldigten die Möglichkeit, auf eine Einstellung nach den §§ 153 ff. StPO oder eine Erledigung im Wege des Strafbefehls hinzuwirken und dadurch die Anklageerhebung zu vermeiden.
Der Mangel der Nichtgewährung rechtlichen Gehörs kann entgegen verbreiteter Ansicht zudem nicht durch eine Aufforderung zur Erklärung nach § 201 StPO geheilt werden, denn hierdurch kann der Vernehmungszweck, namentlich Einfluss auf die Entscheidung der Staatsanwaltschaft zu nehmen und ein gerichtliches Verfahren vermeiden zu können, nicht mehr realisiert werden. Folglich kann es nicht ausreichen, die Rücknahme der Anklage bei der Staatsanwaltschaft nur anzuregen. Verstößt die Staatsanwaltschaft in so groben Maße gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens, hat das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens abzulehnen, sofern die Staatsanwaltschaft die Rücknahme der Anklage ablehnt.
Lässt das Gericht diese Behandlung passieren und eröffnet das Hauptverfahren, verdeutlicht es dadurch, dass es ihm – wie dem Dezernenten der Staatsanwaltschaft – nicht um einen fairen, sondern allenfalls um einen kurzen Prozess geht.
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